Unter der Oberfläche des Alexanderplatz
Der U-Bahnhof Alexanderplatz ist ein Kosmos für sich. Wer auf die kühle Ästhetik der 1920er Jahre steht, kommt hier auf seine Kosten. Der weitaus größte Teil des Bahnhofs ist dank Wandfliesen in intensives Türkis getaucht.
Aber der eigentliche Reiz dieses Bahnhofs ist für mich ein anderer. Wer großstädtisches Leben mag, für den wird der Gang durch diese Unter-Welt zum Lustwandeln. Ein Stück Metropolis. Hier treffen sich drei U-Bahnlinien und vernetzen sich mit S-Bahn und Straßenbahn, Regionalbahn und Bus. Hier ist fast rund um die Uhr Leben und hier stoßen auch völlig widersprüchliche Lebenswelten aufeinander.
An der Platzoberfläche lassen nur die zahlreichen Ausgänge vermuten, dass sich unter der Platzoberfläche eine andere Welt verbirgt. Benutzt man aber einen der Abgänge und steigt abwärts, betritt man ein Labyrinth von Wegen, Passagen, Bahnsteigen, Zwischenebenen und, und, und ... Eine Architekturlandschaft in den Boden eingegraben. Hohlraum. Architektur, die nicht als Baukörper in Erscheinung tritt, sondern nur Raum ist. Purer Raum. Weit und eng, hoch und niedrig, schäbig und glanzvoll.
Es macht Spaß, dieses Höhlensystem zu durchstreifen und in unterschiedliche Raum- und Lebenswelten einzutauchen. Es ist reizvoll, sich von den Menschenmassen treiben zu lassen, durch endlose Gänge treppauf, treppab zu flanieren. An den entlegensten Punkten des Labyrinths wandelt man zuweilen durch einsame Gänge und trifft dann plötzlich auf gigantische Menschenmassen, die sich im Puls der U-Bahnfahrpläne durch die Gänge wälzen.
Es lohnt sich immer tiefer abzusteigen. Ganz unten, auf der untersten Bahnsteigebene angekommen, steht man in einer riesigen Kathedrale, durch die man die Fahrt nach Hönow antreten kann.
Hier empfiehlt es sich einzusteigen, loszufahren und die Menschen zu beobachten. Diese Reise führt über Friedrichshain, Lichtenberg und Hellersdorf. Völlig unterschiedliche Welten mit vielen unterschiedlichen Menschen. Touristen und Hipster, Werktätige und Party-People, alles bunt gemischt. Und zu jeder Tageszeit anders. Eines meiner Lieblingsrituale ist es, die Linie über eine längere Strecke abzufahren und zu beobachten, wie sich die Mischung der Fahrgäste von Stadtteil zu Stadtteil wandelt. "Frankfurter Allee" ist da eine Zäsur. Manchmal mache ich mir einen Spaß daraus, zu spekulieren, wer wohl davor und wer danach aussteigt. Fährt man wieder zurück, mischen sich all diese unterschiedliche Menschen im U-Bahnhof Alexanderplatz.
Sören Hühnlein