Gedenkkirche Maria Regina Martyrum
Seit Jahren ist diese Kirche einer meiner Zufluchts- und Ausflugsorte:
Die Kirche Maria Regina Martyrum. Hier kann ich zur Ruhe kommen. Es ist eine berührende Kirche – sowohl intentionell und konzeptionell als auch gestalterisch und ästhetisch.Maria Regina Martyrum, am Heckerdamm gelegen in Charlottenburg Nord.
Es ist die Gedenkkirche der Deutschen Katholiken, in Erinnerung an die "Blutzeugen" der Nazidiktatur. Die Kirche dient zugleich als zentrale Gedenkkirche, als lokale Gemeindekirche und als Klosterkirche. Zwischen Autobahn, ehemaligem Flughafen Tegel und Gefängnis Plötzensee. Unwirtliche Orte. Abseiten der Stadt. Auch das eine Botschaft? Schon Jesus wandte sich den Abseitigen zu.
Für mich ist die Kirche auch eine Ikone der Nachkriegsmoderne. Karg, nackt, kühl und gerade darin sehr ästhetisch! Ja, so wunderschön kann Beton sein! Zahlreiche Variationen, mit Beton feinsinnig umzugehen. Besonders spricht mich der Abdruck grober Holzschalung an. Und die Weite des Raums. Und das flutende Licht. – Raum und Licht und Beton.
Ich frage mich: Kann das Gedenken an Gewalt und Schrecken schön sein? Darf es schön sein? Die Frage bleibt offen.
Die Nähe zu Plötzensee, zur ehemaligen Hinrichtungsstätte ist bewusst gewählt. Und auch die Karmelitinnen, deren Kloster hier angedockt ist, suchen die Auseinandersetzung mit belasteter Geschichte und kollektiver Schuld. Ein anderes ihrer Klöster ist am KZ Dachau.
Auch der Kirchenbau selbst thematisiert die Analogie zu Gefängnissen und Lagern. Um in die Kirche zu gelangen, muss man durch einen großen kahlen Hof, von einer hohen dunklen Mauer umgeben. Die eigentliche Kirche schwebt als weißer Quader über diesem scheinbaren Gefängnishof. Rechts liegt dieser Quader auf der Hofmauer auf, links ist er wie aufgebockt auf zwei kurzen Wandscheiben. Zwischen diesen Wandscheiben führt eine mühsame Betontreppe hoch. Und dann ist man da – in einem weiten Raum, im Kirchenschiff, in dem man sowohl die Weite des Raums - als auch wieder das Hermetische von nackten Betonwänden spürt. Und Licht. Nein – keine Fenster. Aber rechts und links gleitet indirekt geführtes natürliches Licht an den rohen Betonwänden ins Innere und macht diese Betonwände zum bestimmenden Element der Kirche. Material pur. Vieles in dieser Kirche ist aus Beton – dieses toughe Material wird durch feinsinnig variierte Oberflächen zugleich auch empfindsam.
Vorne hinter dem schlichten Altar der Gegenpol zum nackten Beton: eine weitere Wandscheibe als wandhohes lichtes Gemälde – nahezu komplett abstrakt. Hell und weit.
In dieser Kirche gelingt es, beidem Ausdruck zu verleihen.: Dem unsäglichen Leid, der Gewalt, die wir Menschen anderen Menschen immer wieder antaten und antun. Und auf der anderen Seite der Herrlichkeit Gottes, des einen Gottes, an den Juden und Christen glauben. Gott, der aus christlicher Sicht pure Liebe ist. Und Liebe heißt Wohlwollen. Verständnis. Versöhnung. Warmherzigkeit. Befreiung. Ja, diese Kirche vereint die Botschaft von Karfreitag und Ostern. Tod und Leben. Angst und Befreiung. Leid und Jubel. Enge und Weite.
Eine mögliche Deutung. Eine mögliche Wahrnehmung.
Sören Hühnlein, 2023