Woher sie kommt, woher sie stammt, was hielt sie in ihrer rechten Hand – darüber wurde hin und wieder spekuliert. Je nach Quelle gehörte sie zur Ausstattung eines Gotteshauses, der „Amerikanischen Kirche“, die Anfang des 20. Jahrhundert an der Motzstraße gebaut und nach Kriegszerstörung 1958 abgerissen wurde. Um 1900 ist viel nach historisch idealisierten Vorbildern gebaut worden. Aber ob eine solche Schönheit, die offensichtlich von der hellenistischen Kunst inspiriert ist, zu einem Kirchenbau passte? Andere meinen, sie wäre ein Relikt jener prächtigen und vornehmen Architektur, wie sie hier im Viertel zwischen Nollendorf- und Viktoria-Luise-Platz ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert entstanden ist.
Damals war Schöneberg eine unabhängige, wohlhabende und aufstrebende Stadt, bis sie 1920 nach Berlin eingemeindet wurde. Hier sollten sich wohlhabende Berliner*innen niederlassen, die es sich leisten konnten, der Großstadt zu entfliehen, aber gleichzeitig deren Annehmlichkeiten, wie z.B. das kulturelle Angebot, wahrnehmen wollten. Allerdings entwickelte sich dieses Viertel selbst auch zum Standort für Kultur und Vergnügung. Davon zeugt heute noch das 1906 errichtete, immer noch imposante Theatergebäude am Nollendorfplatz, mit Konzertsaal und späterem Kino. Daraus machte Erwin Piscators ab 1927 eine sehr innovative Theaterbühne, die ihn um sein ganzes Vermögen brachte und die er dann aufgeben musste. Diese Gegend entwickelte sich damals zu einem beliebten Treffpunkt für Unternehmungslustige, die in den vielen nächtlichen Lokalen das Verruchte und Verbotene erleben wollten: dort konnte man nackte oder halbnackt tanzende Frauen erleben, oder Männer in Frauenkleidern und umgekehrt Frauen in Männerkleidung, die miteinander offen verkehrten und eine überaus heitere nächtliche Welt schafften. Auch heute noch schlägt hier das Herz der schwul-lesbischen Szene.
Aber dann kamen die Verfolgung, der Zweite Weltkrieg und die Zerstörung. Ob diese Schönheit das alles hier mit eigenen Augen gesehen hat? Ob sie sich freut über ihr Überleben oder, dass sie den Menschen heute viel näher ist, als bei ihrer Erschaffung? Zu mindestens den Kindern ist sie näher, wenn die ersten Sonnenstrahlen die Luft erwärmen und sie sich wieder auf dem vor ihren Füßen errichteten Spielplatz treffen. Ob sie ihr auch zulächeln, wenn sie sie sehen? Eigentlich schaut sie uns Betrachter nicht wirklich an. Ihr Blick aber ist gütig und auch verträumt: ob sie sich vielleicht doch an einen anderen Ort wünscht? Unter ihresgleichen? Ich jedenfalls bin glücklich, dass sie da steht, wo sie steht, weil sie hier mit ihrer Anmut eine kleine überraschende Idylle geschaffen hat. Und so kann ich sie immer besuchen, wenn ich in der Gegend bin. Nur sonntags, da geht es nicht, leider.
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