Einsam und verloren wirkt dort der von dunkler Patina überzogene Grabstein in einer kleinen Grünanlage. Seine Inschrift besagt, dass er Antoinette Weiss, geb. Biancone, gewidmet ist, die 1805 im Alter von 27 Jahren starb. Sein schlichtes, klassizistisches Erscheinungsbild will nicht recht zu den umgebenden Neubauten passen.
1999 wurden hier die „Katholischen Höfe“ eröffnet, die zahlreiche kirchliche Einrichtungen beherbergen, darunter die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, Misereor und die Katholische Akademie – ein Forum der öffentlichen Auseinandersetzung für Vertreter*innen aus Politik, Theologie, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft.
Wo mag die Verbindung zu Antoinettes Grab liegen? Eine Spur dazu findet sich direkt hinter der rostrot bemalten Hofmauer. Dort liegt der Französische Friedhof, der 1780 für die in Berlin eingewanderten Hugenotten angelegt wurde. Westlich schließt sich der berühmte Dorotheenstädtische Friedhof mit seinen zahlreichen Prominentengräbern an. Er entstand bereits 1762 auf freiem Feld vor dem Oranienburger Tor.
Eine alte Stadtkarte auf einer Hinweistafel verrät: ich befinde mich auf dem Gelände eines weiteren, heute „fast vergessenen Gottesackers“, dem 1777 angelegten Friedhof der katholischen Domgemeinde St. Hedwig. Über Antoinette Weiss ist nichts weiter bekannt, außer dass sie vermutlich italienischer Herkunft war, ihren Ehemann laut Inschrift „mit treuer Liebe beglückte“ und ihre Kinder mit „mütterlicher Zärtlichkeit pflegte“.
Und: sie fand ihre letzte Ruhe nahe prominenter Zeitgenossinnen – Marianne Schadow, der ersten Frau des Bildhauers Johann Gottfried Schadow, und Henriette Mendelssohn, Tochter des Philosophen Moses Mendelssohn.
Eine Umbettung der beiden Grabstätten erfolgte auf den 1834 neu angelegten St. Hedwig-Friedhof in der Liesenstraße (wo sie jedoch nicht mehr existieren). Denn 1878, als die Friedhöfe an der Chausseestraße längst von der sich rasant ausdehnenden Stadt umgeben waren, erfolgte die Schließung des alten St. Hedwig-Friedhofs. Nicht nur prominente Gräber wurden auf andere St. Hedwig-Anlagen transloziert und umgebettet, die übrigen Grabstellen jedoch bis Anfang des 20. Jahrhunderts allesamt eingeebnet. Nur das Grab von Antoinette Weiss blieb zunächst vor Ort erhalten. Ihre Familie hatte es für 100 Jahre erworben und verweigerte die Umbettung. Als vor der Jahrhundertwende Wohn- und Geschäftshäuser auf dem Gelände errichtet wurden, baute man schlicht um den Grabstein herum. Bis 1908 stand er in der Lesehalle eines Buchladens, bevor er auf den St. Hedwig-Friedhof IV nach Reinickendorf kam. 2007 kehrte er schließlich an seinen Ursprungsort zurück – zur Erinnerung an den ersten katholischen Friedhof nach der Reformation in Berlin.
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