In der Mitte prangt ein markantes Piece der Kreuzberger THC Crew, die seit Jahren omnipräsent im Berliner Straßenraum ist. Darüber: das paste-up eines Cowboys mit Kinderkopf, rundherum unzählige Tags, viele verblichen und einige übersprayt. Ein Plakat ehrt den kürzlich verstorbenen Fußballer Diego Maradona, ein alter Computerbildschirm „sagt Nein zu Rassismus“. Letztgenannte Installation scheint programmatisch für das Selbstverständnis der Grundschule zu sein. In der Namensgebung wird die Ikone der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung geehrt, die Bildungsinstitution stellt sich in ihrer Selbstbeschreibung klar gegen Rassismus und sieht in der kulturellen Vielfalt des Kiezes die große Chance, von- und miteinander zu lernen.
Streetart gehört wie eine zweite Haut zu den Gebäuden Kreuzbergs, die Schule stellt hier keine Ausnahme dar und soll mir als Beispiel dienen, um die Idee der Fassade als politischer Kommunikationsort auszuführen. Ich verstehe die eklektizistische Ausgestaltung einer Außenwand als partizipatives Kunstwerk, dass die Vielfalt, das pulsierende Leben und letztendlich das Bedürfnis des sich Einschreibens in den Stadtraum widerspiegelt. Dabei geht es um soziale Teilhabe und um Deutungshoheit: wem gehört die Stadt und wer prägt den Stadtraum? Die Gestaltung der Fassaden wird in Zeiten der ausufernden Gentrifizierung zum Akt des politischen und gesellschaftlichen Widerstandes. Während die Investor*innen mit finanzieller Potenz über das architektonische Arrangement des Stadtraumes entscheiden, sind es die Street-Artists, die das bunte Wirrwarr des Straßenraumes orchestrieren.
Graffiti wird allzu oft als die Schmiererei gelangweilter Jugendlicher abgetan, greift jedoch zu kurz und wird dem künstlerischen Anspruch nicht gerecht. Das bewusste Übertreten geltenden Rechts und damit verbunden die Bereitschaft, die eigene juristische Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen, ist eine künstlerische Praxis, deren Implikationen weit über das eigentliche Werk hinaus reichen. Im Straßenraum ist nichts dauerhaft, alles ist dem Zerfall, der Überschreibung und der Umdeutung preisgegeben. So geht es den Künstler*innen keineswegs um ein dauerhaftes Monument der eigenen Schaffenskraft, der Prozess der Aneignung steht stattdessen im Zentrum der Arbeiten.
Eine Stadt gehört ihren Bewohner*innen, nicht den Investor*innen – die Wände Berlins strahlen diese Überzeugung in ihrer bunten Vielfalt aus. Sie sind die kollaborativen Plattformen des Widerstandes. Zugleich sind sie Wissensspeicher eines fluiden Berlins, das andauernden Prozessen des Wandels unterworfen ist. Die Werke legen sich als Zeitschichten übereinander, verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk, zu einer Collage des gemeinschaftlichen Wirkens.
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