Der Görlitzer Park, wie er offiziell heißt, war schon immer ein wichtiger Anlaufpunkt im Kiez, u.a. für Familien, Freizeitsportler, Hundebesitzer und internationales Partyvolk. In den letzten Jahren ist der Görli vor allem auch berühmt-berüchtigt als Berlins Drogenumschlagplatz Nummer eins. Zu Pandemiezeiten hat sich die Parknutzung nun beträchtlich erweitert – als Open Air Fitnessstudio, Probebühne, Büro, Wohn- und Essraum.
Bei meinem heutigen Spaziergang an einem sonnigen, windigen Tag im März lassen Kinder ihre Drachen steigen, Eltern hantieren derweil mit ihren Smart Phones, Latte Macchiato Bechern und Cakes to Go, die Dealer stehen friedlich quatschend am Parkeingang, laute Beats dröhnen aus einer Anlage, eine Frau übt Stepptanzen, eine andere umarmt meditierend einen Baum, Hunde tollen, Frisbees fliegen, ein Obdachloser führt Selbstgespräche, zwei ältere türkische Herren führen lautstark ein Handygespräch über Lausprecher.
An manchen Tagen genieße ich das dichte, bunte Treiben in diesem eintönigen Lockdown-Winter, an anderen sehne ich mich nach Ruhe und Stille – und nach Abwechslung auf den immer gleichen Wegen. Die suche ich heute auf dem Mondhügel am südöstlichen Ende des Parks.
Von unten ein unscheinbarer Berg aus Sand und nackter Erde, nur spärlich mit Gras bewachsen. Seine zerklüftete, von Kaninchenbauten durchsetzte Oberfläche erinnert tatsächlich an eine Mondlandschaft. Eine unerwartete Weite und Leere tut sich auf. Es ist wie eine Reise in eine andere Welt. Und die Aussicht von oben über die Stadt ist eine Offenbarung. Ob dieser Fantasiereise zum Mond muss ich schmunzeln, denn früher, als der Park noch der Görlitzer Bahnhof war, konnte man von hier aus tatsächlich in die Ferne schweifen.
Ab 1866 verband der Bahnhof Berlin mit Görlitz, mit Anschluss nach Breslau und Wien. Doch die Teilung Berlins bedeutete sein Ende. Im Frühjahr 1951 wurde der letzte Personenzug abgefertigt und vorbei war es mit der ungebremsten Reiselust der Berliner. Dieses Gefühl kann ich heute nur allzu gut nachvollziehen. Besonders an diesem Ort, denn die Berliner Mauer verlief unmittelbar hinter dem Mondhügel am Landwehrkanal, der Bezirksgrenze zu Treptow. An den ehemaligen Bahnhof erinnern heute übrigens noch die alte eiserne Eisenbahnbrücke über den Kanal, ein kurzes Stück Gleis östlich der Brücke und zwei ehemalige Güterschuppen im Görlitzer Park.
Der Wind weht vom Spielplatz das Kreischen von Kindern zu mir hoch, vermengt mit Gesprächsfetzen in unterschiedlichen Sprachen – afrikanische Dialekte, Amerikanisch, Französisch, Türkisch und Arabisch. Es sind angeregte Unterhaltungen im Gange, mitunter hitzige Auseinandersetzungen, aber es wird auch viel gelacht. Und das ist das Tröstlichste für mich: dass ein friedliches und tolerantes Miteinander möglich ist – gerade in diesen Zeiten. Was für eine Perspektive!
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!