Als wir Mitte der 1990er Jahre unseren neuen Stadtspaziergang „Konsum, Rausch und Abgründe“ durch die westliche City entwickelt haben, sah es an dieser Stelle anders aus: Der Beate-Uhse-Shop war eine Attraktion, der Zoo Palast noch der rote Teppich für die Wettbewerbsfilme der Berlinale (bis 1999), weitere Kinos existierten wie der Gloria-Palast, das Mamorhaus oder die Filmbühne Wien gleich um die Ecke, das denkmalgeschützte Schimmelpfeng-Haus überspannte die Kantstraße gegenüber der Gedächtniskirche, das Kranzler zum Gesehen werden oder als Rückzugsort und: Teppich Kibek. Das Geschäft wehrte sich damals gegen die Bestrebungen des Grundeigentümers Brau und Brunnen, an dieser Stelle ein Hochhaus zu errichten und beharrte auf dem langfristigen Mietvertrag. Ein Bagger rammte angeblich zufällig einen Stützpfeiler und dann nahm alles seinen Lauf – oder auch nicht. Denn nachdem Teppich Kibek verschwunden war, klaffte hier über zehn Jahre lang ein Riesenloch, weil dem Getränkekonzern das nötige Geld und wohl auch der Glaube an seine hochfliegenden Pläne fehlte. Die Dauerbaustelle drohte zum Synonym für Fehlentwicklungen und die Orientierung der Investoren zur Alten Mitte zu werden. City West wird abgehängt? So waren die Befürchtungen und so stand es in mancher Zeitung.
Interessenten und Investoren kamen und gingen auch relativ schnell wieder. Dann wurde es 2008 doch noch ernst: Statt des ursprünglichen gläsernen Turms des Architekten Richard Rogers wurde schließlich das Zoofenster nach den Plänen von Christoph Mäckler errichtet und 2013 eröffnet. Mittlerweile kam das Victoria Areal / Neues Kranzler Eck mit seiner gläsernen Fassade des Architekten Helmut Jahn dem zuvor und setzte ein erstes Ausrufezeichen im Streit um die architektonische Lufthoheit in der City West. Das heizte die Debatte um die Höhenbegrenzung an. Erinnern wir uns: Die KapHag durfte in den 1990er Jhren im Kantdreieck ihr Haus mit dem markanten Segel auf dem Dach noch nicht so weit in die Höhe bauen wie gewünscht und wirkt in seiner reduzierten Form wie gestutzt. Gern wurde an die Konsequenzen für das sich verändernde Stadtbild erinnert, wenn die alte Regelung einer Traufhöhe von 22 Metern in den klassischen Innenstadtgebieten keine Gültigkeit mehr hat. Diese alte Ordnung wurde nun mit den beiden Hochhäusern endgültig durchbrochen und der Architekt des Upper West Christoph Langhof freut sich, das sein 19-jähriger Kampf nun Früchte trägt. Seine Vision geht aber noch weiter, wenn er mit dem Entwurf für einen 209 Meter hohen Wolkenkratzer mitten auf dem Hardenbergplatz gleich vor dem Bahnhof Zoo für Aufsehen und Streit sorgt. Hier sind die Verwaltungen von Senat und Bezirk aber noch mehrheitlich dagegen. Ob das Riesenrad in der Nachbarschaft doch noch verwirklicht wird, steht ebenfalls noch aus: Der erste Investor dafür ist pleite und auf dem Grundstück darf nah dem Bebauungsplan auch nichts anderes gebaut werden.
Weiter in die Höhe geht es zurzeit an anderen Stellen in der Stadt: Unterhalb des Fernsehturms mit seinen 368 Metern liegen das Park Inn am Alexanderplatz (150 Meter) und die Treptowers in Treptow (125 Meter). Höher hinaus geht demnächst das Hotel Estrel in Neukölln mit einem 175 Meter hohen Turm.
Nichts desto trotz hat die Regelung der Traufhöhe noch Kraft, denn der US-Investor Hines darf auf der neuen Leerstelle, wo das Beate-Uhse-Museum gestanden hat, nur ein Geschäftshaus mit sechs statt wie geplant zehn Stockwerken bauen.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller, früher Senator für Stadtentwicklung, freute sich im Frühjahr bei einem Besuch der Baustelle des Upper West über die Aufwertung der City West. 250 Millionen werden hier vom Investor Strabag Real Estate investiert. Ganz oben soll es eine 900 qm große Skybar mit tollem Blick auf die Stadt geben. Upper West klingt nach New York, aber bis dahin ist es doch noch ein weiter Weg. In der unteren Hälfte zieht mit Motel One ein Hotel im Dreisternestandard ein. Nebenan hat sich im Zoofenster das Luxushotel Waldorf Astoria einquartiert. Der Berlin-Tourismus boomt und so setzen Investoren nach wie vor auf Hotelketten. Für diese Berlin-Besucher sind neue Shoppingkonzepte wie das im modernisierten Bikini-Haus gleich gegenüber wie geschaffen.
Was dabei vergessen wird: Viele kleinere inhabergeführte Hotels kommen unter die Räder und können mit ihrem engen Budget nicht mehr mit den Großen mithalten, gerade auch in Charlottenburg. Sie schließen oder werden teilweise zur Flüchtlingsunterkunft. Kennt Ihr noch das legendäre Bogota?
Damit sind wir auf der Schattenseite der Hochhausprojekte. Die Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche befürchtet eine Verschattung ihres blau verglasten Kirchenraums. Und die Kirche hat nicht mehr die Höhendominanz von früher. Für manchen Berliner sicher ein emotionales Thema, ebenso wie der Abriss des Schimmelpfeng-Hauses aus den 1950er Jahren. Es stand unter Denkmalschutz, sollte aber mit Genehmigung der Behörden den beiden Hochhäuser weichen. Das sieht nach einer klaren Linie der Stadtentwickler aus, auch wenn Senatsbaudirektorin Regula Lüscher Bauchschmerzen bekundete.
So verändert sich im Zuge der neuen Höhenflüge das Koordinatensystem der City: Bekleidung statt Kinokultur, Shoppingerlebnis mit Zooblick statt Kaffeehausatmosphäre … Und damals wie heute gern vergessen: Die Menschen am Rande unserer Gesellschaft, für die die Bahnhofsmission hinter dem Bahnhof Zoo ein wichtiger Anlaufpunkt in ihrem Alltag ist: etwas zu essen bekommen, ärztlich mit dem Nötigsten versorgt werden und vielleicht einen Moment der Ruhe finden. Hier ist die andere Seite der Gesellschaft, zu der auch das ehrenamtliche Engagement von Bürgern dieser Stadt zählt, jenseits von Kommerz, Ertrag und Effizienz. Je nach Schätzung wird von über 10.000 Wohnungslosen in Berlin ausgegangen – die Größenordnung einer Kleinstadt. Und die Zahl nimmt zu. Auch das ist die City West vis à vis der neuen Hochhäuser im Schatten des neuen Glanzes. Die Kontraste der Stadtgesellschaft können kaum schärfer sein. Vielleicht wäre auch das eine Erwähnung des Regierenden Bürgermeisters bei seinen lobenden Worten zur Aufwertung der City West wert gewesen. Und an diese Klientel hat der Architekt Christoph Lang bei seinen zahlreichen Berliner Projekten sicher nicht gedacht.
Wie denkt Ihr über die Entwicklung und Zukunft der City West?
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