Hier hatten im Januar die Eltern wegen der unhaltbaren Zustände in einem Brandbrief öffentlich um Hilfe gebeten: Schüler trauten sich wegen der Gewalt kaum noch in die Schule. Sogar das Lehrerzimmer sei von einigen Schülern gestürmt und Lehrer mit echt aussehenden Spielzeugwaffen bedroht worden. In dem Bericht einer Schul-Inspektion heißt es: „Kinder und Jugendliche fallen durch unsoziales Verhalten bis hin zur Gewalttätigkeit jüngeren Kindern, aber auch Lehrkräften gegenüber, auf“.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Traurige Armut in den Familien, deren Kinder hier zur Schule gehen. Wir waren in der Schule zu Besuch, um mit Jürgen Weißschuh vom christlichen Kinder- und Jugendhilfswerk Arche über die Arbeit an der Schule zu sprechen und eine Spende zu übergeben. Arche ist hier seit 2008 aktiv und begann mit einer Frühstücksversorgung für hungrige Kinder. Heute hilft Arche Kindern bei den Hausaufgaben und kreiert Bildungs- und Freizeitangebote [nähere Informationen hier]. Die Mitarbeiter/innen kümmern sich intensiv um kleine Schülergruppen mit Lernschwierigkeiten und führen eigens konzipierte Sozialkompetenztrainings in verschiedenen Schulklassen durch. Arche hat dafür Räume in der Schule ausgestattet, die den Jugendlichen einen Rückzugsort zum Durchatmen bieten. Das klingt nach einem attraktiven Angebot für die Schüler Der Weg dorthin ist dennoch nicht einfach. Denn es sind die Mitschüler, die sie als „Arme“ ausgrenzen, weil sie zur Arche gehen.
Die Situation in vielen Familien ist oft belastend und so schleppen die Schüler ihre Probleme mit in die Schule, wo sie sich kaum auf den Unterricht konzentrieren können. Daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Schüler in eine fatale Spirale aus Sorge, Angst, Unaufmerksamkeit, Ablenkung und Aggression geraten, in der für Lernen kein Platz ist. Gleiche Bildungschancen für alle steht zwar auf der politischen Agenda, verkommt aber leicht zur Worthülse, wenn es nicht die dafür notwendige personelle und sozialpädagogische Ausstattung an den Schulen gibt. So musste die Mozartschule sogar dafür kämpfen, dass sie einen Vollzeitschulleiter bekommt. Lernen beginnt mit Neugier und Offenheit für Neues. Wenn sich Arche mit Schülern bei einem Ausflug auf den Weg in die Berliner Innenstadt macht, taucht schon mal die Frage auf, ob denn der Alexanderplatz noch zu Berlin gehöre, weiß Jürgen Weißschuh zu berichten. Auch in den Ferien bietet Arche an der Schule Programme und Freizeitaktivitäten für Schüler an.
Die Mozartschule ist nur einer von vielen sozialen Brennpunkten in der Stadt. Nach Aussagen der Sozialverbände lebt in Berlin jedes dritte Kind unter 15 Jahren unterhalb der Armutsgrenze, viele mit Benachteiligung beim Zugang zu Bildung [ein Beitrag dazu im „Tagesspiegel“].
Manches erinnert an Situationen im 19. Jahrhundert, wie sie der Kinderbuchautor Klaus Kordon in seiner Jacobi-Trilogie beschreibt: Kinder, die in Armut aufwachsen, in beengten und bedrückenden Mietskasernen wohnen, den Überlebenskampf der Eltern und Nachbarn hautnah miterleben und selbst kaum Chancen auf ein besseres Leben haben, weil ihnen der Weg zu einer höheren Schulbildung versperrt ist.
Kindertour zu Arbeiterleben und Kinderarmut
Das StattReisen-Team hat sich im Frühjahr intensiv mit dem Thema beschäftigt und mit dem Kinderbuchautor Klaus Kordon Ideen entwickelt, wie und wo Kinder mit ihrer Fantasie die Geschichten aus dem Leben von Arbeiterkindern und ihren Familien im 19. Jahrhundert am besten nachvollziehen können. Sie haben sich in Hinterhöfen und alten Häusern umgesehen, nach alten Bildern recherchiert und Spielzeug gefunden, das für die damalige Zeit typisch war. So ist eine Entdeckungstour für Kinder entstanden, die den Alltag im Zeitalter der Industrialisierung lebendig werden lässt.
In einem Hinterhof hören die Kinder aus den Romanen, dass die Wohnungen oft dunkel und nicht selten feucht waren, überall Möbel im Weg standen und wenn man auf Toilette musste, ging es hinunter auf den Hof aufs stinkende Plumpsklo. Überhaupt spielte sich viel im Hof ab. Ständig beschwerten sich die Bewohner über den Lärm der Kinder, wenn sie Murmeln spielten oder Wettspringen über die Mülleimer veranstalteten. Auf der Straße war es auch nicht besser, aber spannender, vor allem wenn ein Fuhrwerk mit Lebensmitteln etwas von seiner Ladung verloren hatte und die Kinder sich über Essbares freuten. Oft halfen sie bei der Arbeit. Das war wichtig, vor allem wenn der Vater arbeitslos oder die Mutter krank war und die Familie nicht wusste, wie sie das nächste Brot bezahlen sollte. Die Geschichten von Klaus Kordon, die Orte und die Gegenstände helfen zu verstehen, wie das Leben vor hundert bis hundertfünfzig Jahren für viele Menschen in der Großstadt aussah. Sie berühren, wenn man feststellt, dass es auch heute wieder ähnliche Situationen gibt [zur Kindertour].
Die Einnahmen aus der Premiere mit Klaus Kordon haben wir nun als Spende an Arche in der Mozartschule übergeben. Denn es ist ein besonderes Anliegen von StattReisen, die Bildungsarbeit für benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen.
Zu diesem Anlass führen wir am kommenden Wochenende die Kindertour noch einmal durch (allerdings dieses Mal ohne Klaus Kordon) und hoffen auf viele interessierte Kinder:
Sonnabend, 29. Oktober um 14 Uhr
David, Anna & Co – Abenteuer eines Arbeiterkindes
Start um 14 Uhr am U-Bhf. Sophie-Charlotte-Platz, Ausgang Schloßstraße
weitere Details hier
Diese Kindertour wurde auch als außerschulischer Lernort zur Unterstützung des Schulunterrichts konzipiert. Grundschullehrer/innen können dieses Angebot bei uns buchen oder sich dazu beraten lassen.
Wir freuen uns über Eure ergänzenden Beiträge zum Thema in diesem Blog.
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